Case Study: Pin-up-Kultur
Text und Recherche: Gwendolyn Fässler
Die Sammlung des Fotomuseum Winterthur beherbergt verschiedene Werke, die auf visueller, materieller, inhaltlicher oder konzeptueller Ebene an die Pin-up-Kultur anknüpfen. Dazu gehören Lorna Simpsons Serie Summer ’57/Summer ’09 (Group 6), Zoe Leonards The 1998 Bearded Lady Calendar, Starring Jennifer Miller, aber auch Frida Orupabos Weather Girl. Diese Case Study nimmt die Präsentation dieser Arbeiten in der Ausstellung Der Sammlung zugeneigt – Konstellation 2 zum Anlass, um sich mit dem Pin-up-Genre als künstlerische Referenzkultur auseinanderzusetzen. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen nicht nur Fragen nach visuellen und materiellen Strategien auf der Produktions- und Rezeptionsebene des Pin-up, sondern auch Fragen nach möglichen Momenten der Selbstermächtigung und Inklusion, insbesondere für Schwarze und queere Protagonist_innen.
Das Pin-up bezeichnet ein Bild in Form einer Illustration, Malerei oder Fotografie, das eine konventionell attraktive Frau zeigt, die in Dessous, Badeanzug oder anderweitig freizügig gekleidet ist und verführerisch bis erotisch posiert. Auch wenn seine Ursprünge bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen[1], zirkulierten Pin-ups erst ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als salonfähige Massenware. Dabei stand ein weisses, cis-männliches sowie heteronormatives Zielpublikum im Fokus. Im Rahmen der Verbreitung von Pin-up-Bildern im 20. Jahrhundert wurde die Darstellung des weiblichen Körpers zum Austragungsort für die Enttabuisierung von Sexualität im Alltag.
Die Geschichte des Pin-up ist untrennbar mit den soziohistorischen sowie politischen Ereignissen des Westens im 20. Jahrhundert verknüpft. Speziell während des Zweiten Weltkriegs kristallisierte sich das Pin-up als spezifisch US-amerikanisches Phänomen heraus, wobei es in seinem Kern die strategische Nutzbarmachung von populären Printmedien und Bildgenres als Motivations- und Propagandamittel widerspiegelte. Zu dieser Zeit avancierte die Produktion von Pin-ups und deren Verbreitung in Magazinen, Kalendern oder als Poster und Postkarten zu einer blühenden Industrie. Im militärischen Kontext fielen den Pin-ups nicht nur propagandistische Aufgaben im Sinne der Rekrutierung und Erhaltung der Kampfmoral der Truppen zu, sondern auch emotionale Dienste: die Pin-up-Bilder sollten den Männern im Krieg einen Ersatz für seelische Unterstützung und sexuelle Nähe bieten. Hierbei sollten die Pin-ups zum einen die realen Frauen zuhause verkörpern, die es zu verteidigen, und zum anderen ein fiktives Ideal der Weiblichkeit und Unschuld, das es zu bewahren galt. Derart begann das real-fiktive Pin-up die US-amerikanische Nation und die darin vorherrschende soziale Ordnung zu personifizieren: Die männlichen Soldaten wurden in ihrer traditionellen Subjektrolle als aktive Beschützer sowie in ihrer Männlichkeit, Stärke und Heterosexualität bekräftigt. Das weibliche Pin-up hingegen übernahm die Rolle des passiv unschuldigen aber zugleich erotisierten «Objekts». Im Rahmen dieser Case Study wird sich allerdings zeigen, wie diese Ordnung immer wieder aufgebrochen und subvertiert wird. Etwa über ein gesteigertes Bewusstsein der porträtierten Frauen über ihren eigenen (sexuellen) Subjektstatus. Nichtsdestotrotz blieb die Befriedigung heteronormativer Bedürfnisse und Fantasien lange Zeit im Fokus.
Bis in die 1950er-Jahre dominierte fast ausnahmslos die Präsentation weisser Frauenkörper im Bildkosmos der Pin-ups, die ein konventionelles Ideal von Schönheit, Weiblichkeit und Sexualität reproduzierten und derart die traditionelle, binäre Geschlechterordnung verfestigten. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den damit zusammenhängenden sozialen und politischen Restrukturierungen begann sich jedoch auch die Funktion des Pin-up zu verändern. Die omnipräsenten und überaus beliebten Sujets waren nicht mehr aus der Populärkultur wegzudenken: Das Pin-up repräsentierte eine Art der Performance von sexualisierter Weiblichkeit, deren visuelle Formel und Funktion von breiten Teilen der Gesellschaft als respektabel erachtet und akzeptiert wurde.
Basierend auf dieser Grundlage begannen verschiedene afroamerikanische Printmedien, die darauf abzielten, ein positives Licht auf die kulturellen, sozialen und politischen Bestrebungen und Errungenschaften der Schwarzen Bevölkerung zu legen, sich der Pin-up-Formel zu bedienen. In Magazinen wie Ebony, Jet oder Hue – um nur einige zu nennen – zirkulierten ab den 1950er-Jahren Massen an Pin-up-Bildern von Schwarzen Protagonistinnen für ein Schwarzes Publikum. Etablierte Posen der Pin-up-Kultur wurden von Schwarzen Frauen nachgestellt und angeeignet. Mithilfe dieses Bildtypus sollte ein sollte ein positives Frauenbild vermittelt werden, welches das Muttersein aber auch Bildung oder politischen Aktivismus zelebrierte.
Vor diesem Hintergrund verfolgt diese Case Study das Ziel, die subversive Kraft des Pin-up zu entschlüsseln. Seit jeher lösen sexualisierte Darstellungen von Frauen rege Debatten über ihr Potenzial für Objektifizierung und Agency aus. Doch gerade weil das Pin-up seit seiner Konzeption zwischen passivem (Sex-)Objekt und aktivem Vorbild oszilliert und diese Dualitäten spielerisch für sich fruchtbarzumachen weiss, bietet die Pin-up-Kultur zahlreiche Anknüpfungspunkte, um sich mit Grundsatzfragen in der Betrachtung von Frauenkörpern im fotografischen Medium auseinanderzusetzen. Weshalb entschieden sich zahlreiche Frauen, ungeachtet der objektifizierenden Grundprämisse, sich als Pin-up zu inszenieren? Wie entfalteten sich Strategien der Einschreibung in die Pin-up-Kultur von Schwarzen Communities, um positive Sichtbarkeit zu fördern und progressive Selbstbestimmung zu realisieren? Und waren sie erfolgreich? Auch damit einhergehende Fragen zu Autor_innenschaft, Identität und Blickregimen sollen besprochen werden.
Mithilfe verschiedener Text- und Bildbeträge dechiffriert diese Case Study das Objekt und die Kultur des Pin-up, seine Anziehungskraft, Anpassungsfähigkeit und Ambivalenzen.
Für Anregungen und weitere Inputs kontaktieren Sie bitte: faessler@fotomuseum.ch.
[1] vgl. hierzu Maria Elena Buszek, Pin-up Grrrls. Feminism, Sexuality, Popular Culture (Durham und London: Duke University Press Durham and London, 2006)