SITUATION #24
Nach langem Kampf mit einer psychischen Erkrankung nahm sich Christine Gössler 1985 das Leben. Seiichi Furuya hatte Christine in den sieben Jahren ihrer Ehe, seit sie sich 1978 in Österreich kennengelernt hatten, regelmässig fotografiert und eine informelle aber intensive Porträtreihe geschaffen. Nach ihrem Tod setzte sich Furuya über seine Fotografien mit seiner Erinnerung an Christine auseinander; teilweise sogar, indem er frühere Abzüge abfotografierte. Er veröffentlichte schliesslich eine Reihe von Fotobüchern über seine Frau – 1989, 1995, 1997, 2006 und 2010 erschienen, tragen sie alle den Titel Mémoires. „Ich fing an mit dem Versuch, Dinge zu klären, die rätselhaft waren“, sagte Furuya einmal, „und damit habe ich am Ende sogar noch mehr rätselhafte Dinge wachgerufen.“
Furuyas Fotografien und Fotobücher lassen sich als Reaktion auf das Verschwinden seiner Frau rekonstruieren. Intim und komplex zugleich, stellen sie eine vielschichtige und sich stets verändernde Form seiner Erinnerung dar – eine sich ständig wiederholende (Neu-)Betrachtung der Vergangenheit, Zeugnis des stets unabgeschlossenen Charakters der Erinnerung. Furuyas Bücher evozieren aber auch vergangene Geschichte: die des Kalten Krieges, der das Leben der beiden so stark formte – und die des Verschwindens der analogen Fotografie. Weit über eine einfache autobiografische Erzählung hinaus stellen Furuyas Fotografien eine Art geistiges und visuelles Wiederverarbeiten und -aufbereiten der Vergangenheit dar. Leidenschaftlich und mit feinem Gespür wird der Akt der Erinnerung selbst zum Gegenstand des Werkes.
Mehr von Seiichi Furuya: furuya.at
Cluster: Verschwinden