SITUATION #202
Wenngleich die Covid-19-Pandemie einen Einschnitt in die Kunstszene, wie wir sie bisher kannten, bedeutet, beflügelt sie ebenso künstlerische und kuratorische Praktiken, die sich bereits seit mehreren Jahren online entfalten. Dabei zeigt sich auch ein verstärktes Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Museum Online. Als in den letzten Monaten zahlreiche Ausstellungsräume nicht mehr physisch erfahrbar waren, haben die Digitalisierung von Kunstsammlungen, die digitale Zugänglichkeit von Ausstellungen, die Präsentation digital erzeugter Bilder sowie digitale Kunstvermittlungsprogramme zunehmend an Bedeutung gewonnen. Doch anstatt in eine digitale Expansion zu investieren und auf die zunehmend globale, vernetzte Gesellschaft zu reagieren, überlassen Kunst- und Kulturinstitutionen diese Chance oft dem Monopol weniger, grosser Technologiekonzerne.
Das Google Arts & Culture Project bietet auf den ersten Blick einfache Lösungen an, um das traditionelle Konzept eines raumgebundenen Museums auf einen virtuellen, künstlerischen Spielplatz zu verlagern. 2011 ins Leben gerufen und vom Google Cultural Institute betrieben, lädt die Plattform durch virtuelle Rundgänge, bei denen Street View-Mapping und -Navigation zum Einsatz kommen, und hochauflösende Reproduktionen von Kunstwerken sowie zahlreiche Storytelling-Tools Betrachter_innen weltweit dazu ein, in das virtuelle Äquivalent von mehr als 2‘000 teilnehmenden Institutionen einzutauchen. Aufgrund eines Mangels an technologischem Wissen, dessen Kultivierung Institutionen in der jüngsten Vergangenheit vielfach vernachlässigt haben, sind Museen versucht, ihre pädagogische Verantwortung über eine Kooperation an Google auszulagern. Die vom Google Cultural Institute fälschlicherweise versprochene Utopie eines demokratischen und universellen Raums zur Entdeckung von Kunst vertuscht jedoch nicht nur die Fortsetzung kanonisierender Praktiken, ihre diskriminierenden Strukturen und ihre Kommerzialisierung, sondern auch zahlreiche Gesetzesverstösse wegen illegaler Datensammlung und Verletzungen des Urheberrechts.
Im Rahmen einer Online-Kollaboration zwischen SITUATIONS und dem PhotoIreland Festival 2020: ON/OFF wurden Geraldine Juárez und Mario Santamaría eingeladen, sich kritisch mit den versteckten Machtmechanismen des Google Arts & Culture Project sowie mit der Reproduktion und Aufrechterhaltung westlicher kapitalistischer und kolonialer Blicke auf der Plattform auseinanderzusetzen, die die Wissensbildung weiterhin prägen. Was passiert, wenn das digitale Kuratieren und die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung den Konzernen überlassen werden? Zu wessen Vorteil und auf wessen Kosten agiert das Google Cultural Institute?
Mario Santamaría: Explore the Non-Imaginary Museum!
11.07.2020, 19:00 CET
Virtuelle Reise
Als Teil seines laufenden Trolling Google Art Project (2013–) widmet sich der spanische Künstler Mario Santamaría (*1985) der Problematik von Urheberrechtsverletzungen, die zu verschwommenen Bildern und letztlich zum Bruch des Versprechens von Google Arts & Culture führen, nämlich dem nach einer uneingeschränkten Zugänglichkeit und Bewegungsfreiheit innerhalb ihrer virtuellen Dokumentation. Nach einem Einblick in seine Praxis, die eine über siebenjährige Online-Museumsrecherche umfasst, begeben sich die Zuschauer_innen mit dem Künstler auf eine unerwartete, virtuelle Reise durch ikonische Kulturdenkmäler, Urheberrechtsverletzungen und andere Ungereimtheiten der Plattform.
Die Online-Veranstaltung findet auf Englisch statt.
Mehr von Mario Santamaría: mariosantamaria.net/trolling.html; righted-museum.tumblr.com
Geraldine Juárez: The Fish Don’t See the Water
19.07.2020, 19:00 CET
Bildschirmintervention
In ihren Essays beleuchtet die mexikanisch-schwedische Künstlerin Geraldine Juárez (*1977) die Geschichte des Google Cultural Institutes kritisch im Hinblick auf koloniale und imperiale Praktiken der Prospektion, Dokumentation und Ausstellung, deren Bildsprachen die Macht des Westens und seiner Institutionen entscheidend mitgeprägt und gefestigt haben. In ihrer Bildschirmintervention The Fish Don't See the Water kontextualisiert Juárez die vom Google Cultural Institute philanthropisch betriebene Datenprospektion kunsthistorischer Sammlungen sowie ihrer Architekturen und entblösst damit eben jene vorbelasteten musealen Praktiken, die sich auch in den Projekten von Google fortschreiben. Ausgehend von der Annahme, dass Ausstellungsformate einem Prozess essayistischer Zusammenstellung gleichen, kombiniert die Künstlerin ihre Performance PROSPEKT (2018) mit anderen Bild-Essays zu einem künstlerischen Ansatz der Institutionskritik, der das Potenzial der digitalen Bildgebung aushebelt und das Konzept der ‚Welt-als-digitale-Ausstellung‘ untergräbt.
Die Online-Veranstaltung findet auf Englisch und Spanisch statt (mit englischen Untertiteln).
Mehr von Geraldine Juárez: geraldine.juarez.se/site
Mehr von PhotoIreland Festival 2020 ON/OFF: 2020.photoireland.org
Cluster: The Right to Look