Fotomuseum Winterthur | Samstag, 01.04. – Montag, 05.06.1995

Seiichi Furuya – Mémoires 1995

„Zwei Jahre sind vorbei, seitdem ich sie kennengelernt habe. Der erste Film, den wir zusammen gesehen haben, heisst Harakiri. Vor einem Jahr habe ich sie geheiratet.“ Diese Worte begleiten die erste Veröffentlichung von Porträts seiner Frau Christine Furuya-Gössler. Das war 1980 in der Nummer 1 von Camera Austria. „Vom ersten Tag an habe ich sie regelmässig fotografiert. Ich habe in ihr eine Frau, die an mir vorbeigeht, manchmal ein Modell, manchmal die Frau, die zu mir gehört, gesehen… Dadurch, dass ich sie sehe, sie fotografiere, sie im Bild anschaue, finde ich mich selbst.“ Im Rückblick stellt er fest, dass er durch sie überhaupt regelmässig zu fotografieren angefangen hat. 1978 lernte er sie kennen, fuhr mit ihr zum erstenmal seit seiner Wegfahrt nach Japan. 1981 gebar sie den Sohn Komyo Klaus. 1982–84 lebten sie in Wien, nachher in Dresden und Berlin-Ost. 1985 hat sich Christine nach mehreren Krankenhausaufenthalten umgebracht.

Was 1980 fast unbeschwert noch in Camera Austria veröffentlicht werden konnte, als ein sehr persönliches Dokument einer Freundschaft, hat durch den Tod eine andere Dimension angenommen. Wir sehen manchmal eine stolze und schöne Frau, selten eine selbstsichere, häufig eine verletzliche, in sich gekehrte und dann zunehmend eine Frau mit verspannten Gesichtszügen, steifem Kiefer, den inneren Rand der Lippen zusammengepresst, mit Augen, die durchsichtig, einer Haut, die papieren wirkt. Die Leichtigkeit und Heiterkeit zu Beginn weicht dem Ernst, der Kontrolle, die Offenheit einer Verschlossenheit, der Stolz dem Zusammenbruch – obwohl sie sich weiterhin fotografieren lässt, obwohl dieses persönliche Dokument mit der Zeit auch durch ein gegenseitiges Spiel, ein Inszenieren ergänzt wird.

Mit sparsamsten fotografischen Mitteln entsteht eine intensive Langzeit-Porträtserie. Geplant war das Fotografieren kaum je, aber die Kamera war fast immer dabei. Die letzten Bilder verkünden den Abgrund, sie verleihen allen früheren Fotografien eine tragische Schwere. Im letzten Jahr hat Seiichi seine Frau kaum mehr fotografiert, zu schwer waren die Zeiten. Ein paar Farbdias habe er gemacht, eines davon auf der letzten Reise in Venedig. Es ist eines der schönsten Porträts, leicht in der Schwere, heiter in der Trauer, als wüsste sie bereits von ihrem Tod und hätte sich damit einverstanden erklärt. Zehn Jahre später mag er es zum erstenmal zeigen. Das Dokument einer Liebe, die Geschichte einer Krankheit, das Überschreiten einer inneren Grenze, jener zum Wahnsinn. Die Porträts sind offen und direkt, selbst in der Verschlossenheit, in der Qual.

Die Ausstellung wurde von Urs Stahel kuratiert.