Case Study: Leonore Mau

Aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur blicken uns die Priesterinnen der deutschen Pressefotografin Leonore Mau entgegen. Klar ist beim ersten Betrachten nur eines: hier blickt eine Europäerin auf eine andere Kultur, und diese erwidert den Blick. Doch wie zeichnet sich diese Blickbeziehung aus? Wie ist sie kulturell geprägt, wie wird sie von der Fotografin, von uns als Betrachter_innen oder von einem Museum gesteuert und letztlich auch reflektiert? Anhand der Arbeiten von Leonore Mau konfrontiert das kuratorische Team des Fotomuseum Winterthur die Besucher_innen mit der Fragestellung: Wie könnte ein Umgang mit der eigenen Sammlung durch das Aufbrechen dieser Blickbeziehungen und damit unter postkolonialer Perspektive aussehen?

Maus Werk wurde vor allem im Kontext der Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Hubert Fichte bekannt. Fichtes Texte, von ihm als „Ethnopoesie“ bezeichnet, haben sich schon früh mit Fragen der Repräsentierbarkeit des ,Anderen’ auseinandergesetzt und gelten als Vorläufer queerer und postkolonialer Studien. Gemeinsam reiste das Duo ab 1969 nach Afrika, Lateinamerika und in die Karibik, fing fotografisch und schriftlich Rituale und Feste ein. Mit ihrer Kamera machte sich Mau zur Teilnehmerin an ihr fremden kulturellen Praktiken, ohne die Szenen einer akribischen Fallstudie zu unterziehen. Das Aushandeln des Blicks, aber auch die Zeugenschaft als Motiv sowie der Anspruch einer Autorenschaft wird an ihren Serien Grosse Anatomie (1977), Priesterinnen (1990) und Die Mauerbilder des Papisto Boy in Dakar (1980) deutlich, sowie am Einzelbild Afrikanischer Junge mit Blister-Maske (1974). Wer blickt hier wen an? Wer steuert das Foto? Wie treffen Blickpunkte in Bild und Schrift – die Perspektiven von Mau und Fichte – aufeinander, durchkreuzen und ergänzen sich? Wie zirkulierten diese Bilder in Publikationen, Ausstellungen und online? Und wie gehen wir damit um, wenn sich nun hier im musealen Raum die Blicke der Priesterinnen auf uns richten, oder wir Einblick in eine Szene bekommen, in der unsere Betrachter_innenposition nicht klar zu verorten ist?

Die Forschung zu dieser Fallstudie, die sich aus einer Serie von Interviews und Kontextmaterial zusammensetzt, wird während der gesamten Ausstellungsdauer fortgesetzt und die Ergebnisse werden sowohl im Raum durch ein sich wandelndes Display als auch online dokumentiert und geteilt.

Thomas Seelig, Leiter Fotografische Sammlung Museum Folkwang, Essen, und ehemaliger Co-Direktor und Sammlungskurator Fotomuseum Winterthur

Nathalie David, Künstlerin und langjährige Assistentin von Leonore Mau

Dulcie Abrahams Altass, Curator of Programs, RAW Material Company. Center for Art Knowledge and Society, Dakar

Dr. Claus Deimel, Ethnologe und Kurator

Für ihre Hinweise und Kooperation danken wir ganz herzlich Dulcie Abrahams Altass, Nina Bingel, Marlene Burmeister, Bianca Bozzeda, Regina Bühlmann, Nathalie David, Claus Deimel, Silvia Dolz, Carmen Domínguez, Sebastian Dressel, Anita Eylmann, Maria Fiedler, Hartmut Fischer, Julian Fuchs, Heike Gerlach, Anna Götte, Nadine Gruner, Andrea Hadem, Sabine Hohnholz, Sonja Janßen, Tim Kirchner, Franziska Mecklenburg, Dominik Nürenberg, Margit Tabel-Gerster, Hinrich Sachs, Alexandre Santos, dem Schomburg Center, Thomas Seelig, Silke Seybold, Gereon Sievernich, Mareike Späth, Peter Steigerwald, Urs Stahel, Jörg Wenzel, Isabel Waquil und Maike Zeidler.